Name: Dr. Michael Dreyer
Geburtsort: Kiel
Beruf: Politikwissenschaftler
Jahrgang: 1959
Eintritt in den LSV: 01.07.1977
Familienstand: ledig
In welchem Alter und von wem hast Du das Schachspiel gelernt?
Technisch gesehen habe ich es von meinem Großvater gelernt, mit
ungefähr 10 oder 11 Jahren. Aber das war damals ein Spiel wie
viele andere auch, obwohl ich schon glaube, daß die
täglichen Partien mit meinem Großvater den Pfad in die
richtige Richtung gelenkt haben. Ernsthaft beschäftigt habe ich
mich mit Schach, als an meinem Gymnasium in Timmendorfer Strand eine
Schachgilde aufgemacht wurde. Da werde ich wohl so 13 Jahre alt gewesen
sein. Mit 16 Jahren (1976) habe ich dann erstmals ein richtiges Turnier
gespielt, die JMM und die LJEM, und ein Jahr später bin ich in den
LSV eingetreten. Alles in allem bin ich also eher etwas spät zum
seriösen Schach gekommen. Die erste ernsthafte Partie, an die ich
mich auch heute noch gerne erinnere, war im Januar 1976 gegen meinen
alten (damals noch jungen) Freund Stefan Lindemann.
Welches ist Deine Lieblingspartie und warum?
Steinitz-Bardeleben, Hastings 1895. Der auf der 7. Reihe
dahinschwebende Turm hat, bei schon reduziertem Material, einen enormen
ästhetischen Reiz. Schritt für Schritt geht es voran und dann
wieder zurück, und die Mattführung hat Strenge und Eleganz,
nicht zuletzt deshalb, weil ja auch Weiß am Rande des Abgrunds
steht. Allerdings will ich nicht leugnen, daß die Partie bis hin
zur entscheidenden Stellung kaum als "Gesamtkunstwerk" gelten kann, so
daß meine Bewunderung eher der Kombination als der Partie gilt.
Ich habe immer auch Tarrasch-Breyer (Göteborg 1920) bewundert,
eine sehr folgerichtige und abgerundete Positionspartie. Oder
Lasker-Capablanca (St. Petersburg 1914), wegen der großen
Bedeutung dieser Entscheidungspartie und der kühlen (auch
psychologischen) Berechnung Laskers. Oder vielleicht
Bronstein-Ljubojevic (Petropolis 1973), mit dem intuitiven Wirbelwind,
den Bronstein entfesselt? Oder Awerbach-Kotow (Zürich 1953), mit
dem erstaunlichsten Damenopfer, das ich je gesehen habe? Ach, was
weiß ich. Es gibt unendlich viele wundervolle Partien.
Wer ist Deiner Meinung nach der beste Schachspieler aller Zeiten und warum?
Lasker - vermutlich nicht eben überraschend. Er war über
Jahrzehnte hinweg allen anderen Spielern drückend überlegen
(noch weit deutlicher als irgendein "K" in neueren Zeiten), er ist der
bedeutendste Intellektuelle auf dem Schachthron und er hat auch in
höchstem Alter noch erfolgreich mit Weltmeistern der nächsten
Generation gespielt. Und dies alles und auf höchstem Niveau,
obwohl er zwischendurch immer wieder lange Pausen gemacht hat.
Was fasziniert Dich am meisten am Schachspiel?
Der Kampf als soziale Interaktion zweier Menschen/Partner/Gegner unter
klaren Regeln. Und außerdem natürlich die ästhetische
Schönheit des Spiels, die sich vielleicht am klarsten in Studien
und Problemen offenbart. Daß gerade im LSV noch eine wichtige
soziale Komponente hinzukommt, die eigentlich mit dem Schach als
solchem wenig zu tun hat, ist offensichtlich. Aber ich will es trotzdem
erwähnen.
Hast Du schachliche Ziele und wenn ja, welche?
Na ja, ein erstes Ziel wäre es, überhaupt wieder
regelmäßig Schach spielen zu können. Das ist momentan
alles nicht so einfach, aber ich hoffe zuversichtlich, eines
schönen Tages wieder in (Nord-)Deutschland zu sein, und dann
endlich wieder dem LSV als Spieler und ev. auch noch anders zur
Verfügung zu stehen... Abgesehen davon habe ich inzwischen einiges
in der Verbindung von Schach und Wissenschaft getan und geschrieben,
und das werde ich sicherlich immer mal wieder ausbauen.
Wie ist Deine Meinung zum Computerschach?
Wer´s mag, der soll sich dran vergnügen. Zweifellos hat es
seine Bedeutung in der Vorbereitung auf Partien, als Hilfe bei der
Analyse etc., aber ansonsten verstehe ich den Reiz nicht.
Schließlich macht man auch keine Wettläufe mit
Motorrädern. Beim Computerschach geht das humane Element per
definitionem verloren, und damit das Element des Kampfes. Was soll es,
gegen eine Maschine zu kämpfen, die sich weder freuen noch
ärgern kann? Und Kampf ist für mich eben das wichtigste am
Schach, siehe oben.